games we play

Agricola

von Uwe Rosenberg

Lookout (Redaktion: Hanno Girke, Vertrieb: Asmodee)

ca. 40 € 

schön: 5 Punkte games we play Tip: Das TOPspiel1 bis 5 SpielerInnen

Schwierigkeitschwer

Deutscher Spiele Preis 2008

Spiel des Jahres – Sonderpreis Komplexes Spiel 2006

Wir befinden uns im 17. Jahrhundert und besitzen einen Bauernhof mit einer kleinen Zwei-Raum-Holzhütte. Wir sind zu zweit und haben gerade mal so viel zu Essen, dass wir es bis zur übernächsten Erntephase überstehen. Deswegen muss ich jetzt in die Hände spucken. Es müssen Äcker gepflügt, Getreide und Gemüse angebaut, Ställe gebaut, Weiden eingezäunt und Vieh gezüchtet werden. Außerdem sollte an Nachwuchs gedacht, die Hütte erweitert und letztlich zu einem Lehm- oder gar Steinhaus ausgebaut werden.

Agricola präsentiert sich als ein Spiel, bei dem man gerne den Superlativ verwendet. Selten gab es eine so prall gefüllte Schachtel mit unendlich viel Spielmaterial, selten bemüht sich ein Spiel so liebevoll um eine derart detailgetreue und abwechslungsreiche thematische Umsetzung, und gleichzeitig ist der strategische Anspruch enorm hoch. Auf der anderen Seite steht eine hohe Einstiegshürde, die nicht leicht zu überwinden ist. Zwar gibt es eine so genannte „Familienversion“, die in ungewöhnlich knappen Worten auf drei Regelseiten beschrieben wird. Wer sich auf diese beinahe kursorische Einführung einlässt und reichlich Spielerfahrung hat, wird mit Agricola gut klar kommen. Und hat gleichzeitig ein bereits recht komplexes Spiel vor sich liegen. Es ist auch in dieser Form überhaupt kein Kinderspiel – auch wenn die Bezeichnung „Familienversion“ das suggeriert. Sondern es ist für viele Spieler, die bislang die Siedler von Catan als ihre Referenz ansehen, eine große Herausforderung. Dabei meine ich nicht nur das Bewältigen der Regel, sondern auch die vielen Alternativen, die man im Spiel hat. Agricola ist auch in seiner Sub-Einsteiger-Version komplex, verlangt viel Konzentration und strategisches Denken. Ein Glücksfaktor kommt nur selten zur Hilfe – denn Zufallsmomente spielen bei Agricola eine sehr geringe Rolle.

Doch dem gegenüber steht eine ungeheure Vielfalt an spielerischen Möglichkeiten. Diese geht von der „Familienversion“, über die Einsteiger- und Interaktionskarten bis hin zur komplexen Variante. Außerdem ist das Spiel perfekt in jeder Gruppengröße spielbar (es gibt sogar ein Solitärspiel), weil für jede Runde spezielle Karten vorhanden sind. Nur zu fünft dauert es vielleicht ein bisschen zu lange, weil die Denkpausen – Agricola ist ein Optimierungsspiel – überhand nehmen können. Ansonsten muss man mit zirka einer halben Stunde pro Spieler rechnen.

Der Spielablauf folgt dem Trend der Zeit (siehe Säulen der Erde, Tribun, Stone Age): Es gibt diverse Aktionsmöglichkeiten, und die markiere ich mit meiner Spielfigur. Diese Aktion führe ich sofort aus und habe sie gleichzeitig eine Runde lang für meine Mitspieler gesperrt.

Gespielt werden 14 Runden, die von insgesamt sechs Erntephasen unterbrochen werden. Begonnen wird je nach Spielerzahl mit mindestens zehn unterschiedlichen Aktionsmöglichkeiten. Sie reichen vom Erwerb der Rohstoffe Holz, Lehm und Schilf und reichen bis zum Hausbau, bei dem ich für ein Zimmer ein Schilf und fünf Hölzer abgeben muss.

Für das Timing ist es wichtig, die nächste Erntephase nicht aus dem Blick zu verlieren. Dann kann ich nicht nur zuvor gesäte Getreide- oder Gemüseplättchen von den Äckern ernten und meine Tierpaare vermehren. Sondern ich habe auch genug Nahrung für meine Spielfiguren. Dafür es hilfreich, zuvor Anschaffungskarten für Feuer- oder Kochstellen ausgespielt zu haben, um Fleisch oder Gemüse zuzubereiten beziehungsweise Getreide zu Brot zu backen. Dies wird mit zunehmender Zahl der Spielfiguren, die sich im Zuge der Familienplanung auf bis zu fünf erhöhen kann, immer wichtiger. Denn alle wollen essen – und wer nicht genug hat, bekommt eine Bettlerkarte mit drei Minuspunkten.

Es gibt in diesem Spiel so viel zu tun und so viel zu beachten, dass man ständig verpassten Chancen nachläuft. Dabei ist es weniger die Komplexität der Regel, die einen ärgert – denn vieles erklärt sich ganz logisch – sondern die schiere Zahl der Handlungsalternativen. Frust wird vermieden, indem der Aufbau des Hofes stetig weiter geht. Niemand macht einem etwas kaputt – was aber auch bedeutet, dass die Interaktionsmöglichkeiten sich auf das Gerangel um die Aktionsfelder beschränken.

Wer sich auf Uwe Bohnanza Rosenbergs Agricola einlässt, wird nicht so schnell davon ablassen können. Denn die Chancen, in jedem Spiel etwas Neues auszuprobieren, sind so groß, wie in kaum einem anderen Spiel.

© games we play 2008–14 – Harald Schrapers