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Die Legenden von Andor

Schützt gemeinsam das Land Andor und erlebt fantastische Abenteuer!

von Michael Menzel

Kosmos (Redaktion: TM-Spiele)

nett: 4 Punkteca. 40 €

2 bis 4 SpielerInnen

Schwierigkeitmittel (ab ca. 12 Jahre)

Kennerspiel des Jahres 2013

5. Platz Deutscher Spiele Preis 2013

Nein, man muss hier nicht „Schuster bleib bei deinem Leisten“ rufen. Michael Menzel gilt seit ein paar Jahren als der Top-Aufsteiger im Feld der Spielegrafiker. Jetzt hat er sich als Spieleautor versucht. Und das Ergebnis ist keine spielerische Kleinigkeit, sondern ein opulentes Werk: Andor, das sich in sechs Kapiteln spielen lässt, und zwar kooperativ.

Menzel hat das Kooperationsspiel nicht neu erfunden. Der Herr der Ringe hat schon 2001 begeistert, 2004 kamen die Schatten über Camelot und 2011 war Pandemie an der Reihe. Seit Herbst 2012 rollt nun geradezu eine Welle an kooperativen Spielen auf uns zu, die man früher eher im „pädagogisch wertvollen“ Kinderspielbereich vermutet hätte. Und Dank der großen Vermarktungsanstrengungen von Kosmos etablierte sich Andor schon vor Erscheinen als Flagschiff dieses Neuheitenschubs.

Das Besondere an den Legenden von Andor ist ihr erzählerischer Ansatz. In bestimmten Spielsituationen werden Versatzstücke der Geschichte von Kärtchen vorgelesen, die einem im Spiel weiterhelfen beziehungsweise Regelmodifikationen einführen.

Sieben Stunden haben wir pro Tag Zeit, um zu laufen, zu kämpfen oder den Händler zu besuchen. Dann ist der Tag rum, und der „Erzähler“ läuft als Spielstein einen Schritt weiter. Er sorgt für den Fortgang der Geschichte. Ziel ist es, Aufgaben zu erfüllen und gleichzeitig zu verhindern, dass die Ungeheuer die Burg einnehmen. Wüst aussehende Typen wie Grals und Skrale gilt es mit Hilfe des Würfels zu erledigen. Wer kein Anhänger düsterer Fantasy-Szenarien ist, dem wird auch Andor nur bedingt ans Herz wachsen. Bei dieser Spieleerzählung steht die Thematik weitaus mehr im Mittelpunkt als bei herkömmlichen Spielen.

Nicht nur das Spiel ist ambitioniert, sondern auch die Konzeption der Spielregel. Man wird sehr behutsam und schrittweise in das Spiel eingeführt. Das Erschrecken, das viele Leute beim Anblick einer langen Anleitung packt, soll nachhaltig gemildert werden, und die Regeln werden in möglichst vielen kleinen Häppchen dargereicht. Doch leider geht das Konzept nicht auf. Eine normale Spielanleitung ist keine einmalige Lektüre, sondern eben auch ein Nachschlagewerk, wenn man im Laufe der Partie etwas vergessen hat oder sich vergewissern will. Und dann ist es gut, sich zu erinnern, wo man etwas bereits gelesen hat und es schnell im möglichst übersichtlich gestalteten Heft wiederfindet. Aber wenn es dieses Regelheft gar nicht gibt? Und man immer verzweifelt danach sucht, wo welches Regeldetail niedergeschrieben steht …

Bei späteren Partien, wenn man sich sowieso nicht mehr genau an alle Regeln erinnern kann, verschärft sich das Problem. Denn man will ja nicht wieder bei der Legende 1 mit ihrer sanften Regeleinführung beginnen, sondern sich größeren Herausforderungen stellen. Immerhin hat Kosmos für die zweite Auflage einen im Umfang verdoppelten Almanach erstellt, der die Schwierigkeiten mildert, aber die grundsätzliche Problematik nicht löst. Zudem erschwert das unübersichtliche Spielbrett mit seiner undurchschaubaren Nummerierungsreihenfolge und die schier überwältigende Materialfülle den Überblick, den Beginn und den Ablauf. Die Begeisterung über eine prall gefüllte Schachtel kann schnell in Ernüchterung übergehen. Man braucht zwar immer nur einen kleineren Teil des Materials. Das aber zu finden ist eine ermüdende Herausforderung.

Solche opulenten Abenteuer, bei denen man gegen das Spiel spielt, waren immer eine Domäne des Computers. Wichtige Gründe dafür: Der Rechner übernimmt die Administration, den Überblick, die Sortierung und bewahrt vor Regelfehlern. Bei Andor muss man selbst arbeiten und ist heilfroh, wenn ein Mitspieler die Regel schon kennt und Routine besitzt. Obwohl auch das ein Problem ist. Wenn man bereits eine der späteren Legenden kennt, möchte man ungerne zur Stufe 1 oder 2 zurückkehren, bloß weil ein Neuling am Tisch sitzt.

Trotz aller die Klippen und Hemmnisse bin ich mir sicher, dass die Legenden von Andor viele Spieler begeistern wird. Aber auf der anderen Seite werden eine ganze Reihe von Spielern – auch erfahrenen – eher enttäuscht sein.

© Harald Schrapers · games we play 2013