games we play

My City

5 von 6Deine Stadt wird einzigartig

von Reiner Knizia

Kosmos (Redaktion: Wolfgang Lüdtke, Peter Neugebauer)

Illustration: Michael Menzel

ca. 35 €

2 bis 4 SpielerInnen

Schwierigkeiteinfach (ab ca. 10 Jahre)

Nominiert für das Spiel des Jahres 2020

Brettspielpodcast | My City »

Alle Mitspielenden haben vor sich ihre persönliche quadratische Landschaft liegen, elf mal elf Felder groß. In der Mitte fließt ein Fluss. Auf den Plan schreibe ich den Namen meiner Stadt, die dort in 24 Partien entstehen soll. 24-mal werde meine 24 Gebäude auf dieses Gebiet gelegt. 24 Gebäude in drei unterschiedlichen Farben und acht unterschiedlichen Tetris-Formen. Ähnlich wie bei Tetris müssen dieses Gebäude nun möglichst kompakt in das Flusstal gelegt werden, denn jeder unbebaute Flecken schlägt negativ zu Buche. Anders als bei Tetris und Fits, das auch von Reiner Knizia erdacht wurde, müssen die Häuser aber nicht von oben nach unten durchgeschoben werden. Sondern sie fallen vom Himmel platt auf den Plan – wie auf der Schachtel dargestellt.

Das hört sich nach einer recht simple Puzzleaufgabe an – ist es aber nicht. Denn wir kennen die Reihenfolge der ins Spiel kommenden Häuser nicht, sondern die zufällig gezogene Reihenfolge von 24 Spielkarten entscheidet darüber.

My City ist ein Legacy Spiel. Es verändert von Partie zu Partie seine Regeln. Und es vererbt meine spielerischen Errungenschaften, die ich meist als Sticker auf meinen Gebietsplan geklebt habe, in die nächste Partie. Thematisch bietet My City nicht so viel, obwohl Bergwerke, Industrien und Eisenbahnen in den unterschiedlichen Kapiteln ins Spiel kommen.

Unterteilt ist das Spiel in acht Kapitel á drei Spiele. Acht mal 90 Minuten Spieldauer also, mit Grüblern vielleicht auch zwei Stunden. Am besten ist es natürlich, das in einer Woche wegzuspielen, dann sind die Regeln immer klar präsent. Denn die Grundregeln sich wiederholt neu zu vergegenwärtigen, plus die teils weiterhin bestehenden Zusatzregeln der vorangegangenen Kapitel: Wer wenig Spielerfahrung hat, findet das anstrengend. Zumal am Beginn eines jeden Kapitel erst die die Lektüre eines Din-A4-Blatts Spezialregeln ansteht. Nichts davon ist übermäßig anspruchsvoll, aber es sind eben Regeln.

Wer die Regeln nicht nur versteht, sondern das soeben neue sofort taktisch umsetzt, hat eine klaren Vorteil. Wer sich in einen neuen Regelaspekt erst schrittweise hineindenken muss, verliert erst einmal – und wenn er sich daran gewöhnt hat, verschwindet das Regeldetail wieder und wird durch etwas neues ersetzt.

My City kennt 24 Sieger und einen Gesamtsieger. Der Sieger der Einzelpartie gewinnt zwei Punkte, der zweite einen Punkt, die beiden anderen gehen bei Vier-Personen-Vollbesetzung leer aus. Immerhin bekommen die Verlierer einen Ausgleich: zum Beispiel einen zusätzlichen Baum, den man auf seinen Plan klebt, und von dem man in den Folgepartien profitieren könnte. Wer gewinnt, bekommt einen Malus, ein Handicap: zum Beispiel einen Stein, den er aufkleben muss. Wer den nicht mit einem Haus verdeckt, der kassiert einen Minuspunkt.

Reiner Knizia hat sich für eine lineare Siegpunktleiste entschieden. Die Gewinner malen pro Partie ihre gewonnenen Punkte auf ihren Spielplan: so lässt sich immer ganz genau ablesen, wer führt, wer uneinholbar führt oder chancenlos abgeschlagen ist. Es kann passieren, dass dies schon passiert, bevor die Hälfte der Partien absolviert ist. Denn wirklich konsequent greift der My-City-„Aufholmechanismus“ nicht durch. Selbst der abgeschlagen Letzte bekommt ein Handicap, wenn er einen seiner seltenen Siege feiert.

Der Erfolg auf einer der 24 Zwischenetappen ist schön, seine Bedeutung nimmt aber im Laufe der Partie stetig ab. Denn ab Kapitel 4 gibt es immer mehr Möglichkeiten, Siegpunkte zu gewinnen, die ausschließlich fürs Kampagnenende eine Rolle spielen.

Die Anfangskapitel sind einfach zu spielen. Aber schon da zeigt sich, dass Talent für räumliches Denken in Tetris-Dimensionen von Vorteil ist. In den weiteren Kapiteln wird das Spiel ganz schön knifflig – jedenfalls so weit, dass das für Menschen ohne Spielerfahrung ganz schon viel Holz ist. Hilfreich ist, dass die Regeln der einzelnen Kapitel recht gut aufeinander aufbauen. Dass ein Teil der Regeln auch wieder wegfällt, ist ambivalent. Es entschlackt das Spiel, aber es kann einen auch verwirren. Was gilt noch, was ist regeltechnisch schon wieder überholt? Bei My City kann man keine Partie wiederholen, der erster Versuch sitzen.

My City ist ein großartiges Erlebnis. Für diejenigen, die um den Sieg kämpfen, schafft das Spiel einen wahrhaften Sog. Diese Spielerinnen fiebern dem nächsten Kapitel entgegen, sie wollen möglichst bald den nächsten Umschlag aufzureißen, sich die neuen Elemente anschauen, neue Aufkleber verteilen. Das ist herausragend gemacht – gerade wenn man bedenkt, dass My City weniger auf einer Erzählung beruht, sondern sich eher wie an abstraktes Spiel anfühlt. My City ist eine perfekte Empfehlung für Gruppen, in denen alle mit den gleichen Erwartungen und ähnlichem Talent bereit sind, sich auf den Weg der acht Kapitel zu machen.

© · games we play 2020