Atiwa
Lookout Spiele (Redaktion: Grzegorz Kobiela, Vertrieb: Asmodee)
Illustration: Andy Elkerton
ca. 66 €
2 bis 4 SpielerInnen
Schwierigkeit
Jahrgang 2023
Flughunde sind eine Art Fledermäuse. Sie können nützlicher sein, als ich bisher dachte. Sie fressen Früchte, fliegen dabei viele Kilometer auf der Suche nach geeigneten Futterbäumen, und verteilen auf dem Rückweg über ihre Ausscheidungen die Samen dieser Früchte. Dadurch sorgen sie für eine weiträumige Aufforstung mit schnellwachsenden Bäumen. Allerdings geht die Zahl der Flughunde zurück, da sie gejagt und ihr Fleisch auf den Märkten verkauft wird. Nachhaltig ist das überhaupt nicht. Aber der Bürgermeister des ghanaischen Ortes Kibi hat den wirklichen Wert der Flughunde erkannt und gewährt ihnen Schutz, erzählt Uwe Rosenberg in der Spielanleitung. Damit sind wir mitten im Spiel, denn wir eifern diesem Bürgermeister nach.
Warum ich so einen langen Vorspann aufschreibe, bevor ich auf den eigentlichen Spielablauf komme? Weil Atiwa in beeindruckender Weise diese Thematik nicht nur aufgreift, sondern konkret nachspielt, und zwar mittels eines Arbeitereinsetz-Mechanismus. Pro Runde haben wir drei Arbeiterfiguren, die wir auf eine Vielzahl unterschiedlicher Aktionsfelder stellen können. Beispielsweise um Landschaftskärtchen zu bekommen, um anschließend Bäume, Früchte, Ziegen und so weiter zu erhalten und sie in diesen Landschaften abzulegen.
Die Spielerinnen und Spieler haben jeweils ein eigenes Tableau, auf denen die Bäume und alles weitere bereits vorhanden ist (nur die Flughunde liegen im gemeinsamen Pool). Wir haben also jeweils unseren persönlichen Materialsatz und wollen diesen auf die Landschaftskärtchen versetzen. Denn je leerer mein Materialvorrat ist, desto mehr Siegpunkte bekomme ich am Ende.
Wichtig ist am Anfang, Früchte und Flughunde zu haben. Drei dieser Fledertiere lasse ich zusammen wegfliegen, eine von ihnen gefressene Frucht kommt zurück in meinen Vorrat, und ich darf einen Baum anpflanzen. Wenn ich viele Bäume habe, bin ich nicht mehr auf Landschaftskärtchen zur Erweiterung meiner Auslage angewiesen, sondern kann Ortschaftskärtchen bekommen. Dadurch erhalte ich mehr Wohnhäuser, auf die ich Plättchen mit Familien legen kann, was mir ganz besonders viele Siegpunkte einbringt.
Nach den drei Arbeiterfiguren folgt eine recht umfangreiche Auswertungsphase, die mit etwas Routine alle Mitspielenden individuell für sich abhandeln können. Das ist zwar ziemlich solitär, aber eben auch sehr flott im Ablauf. Hier legt Uwe Rosenberg selbstverständlich Wert darauf, dass wir unsere Familien ernähren, für das wir vorzugsweise Früchte oder Buschtiere verwendet. Ziegen sind zwar besonders nahrhaft, aber da sie dauerhaft Milch geben, ist es nachhaltiger, sie nicht zu schlachten. Erst in der siebten Runde, am Spielende, ist das egal – was danach kommt, interessiert uns offenbar nicht.
Auch Flughunde können gegessen werden, wenn die Familien nicht geschult sind und vom ökologischen Wert dieser Tiere wissen. Ungeschulte Familien sorgen darüber hinaus für eine gravierende Verseuchung der Landschaft: Wir müssen einen Abschnitt unserer Landschaftskärtchen wegen des giftigen Gold- und Bauxitabbaus in der Atiwa-Region dauerhaft aufgeben.
Die Mechanik dieses Spiel ist sehr solide designt und alles passt überaus gut zusammen. Man spielt zwar, außer der Mitspielende hat einem gerade ein Aktionsfeld weggeschnappt, eher allein vor sich hin.
Obwohl Atiwa für ein gehobenes Kennerspiel nicht übermäßig kompliziert ist, müssen zehn Regelseiten durchgearbeitet werden. Weil viele der Handlungsschritte mit der realen Geschichte der Flughunde in Ghana verwoben sind, macht es Spaß, sich da hineinzuarbeiten. Und weil das Spiel nur wenig Knappheit kennt, sondern eher großzügig ist, hat man auch als Anfänger seine Erfolgserlebnisse. Die Herausforderung ist, den gelegentlichen Überfluss überhaupt in der Auslage unterzubringen und nicht zu vergessen, dass die im Morgengrauen zurückkehrenden Flughunde Platz benötigen.
Ein Begleitheft, das die Hintergründe der Balance zwischen Flughunden und einem nachhaltigen Wachstum beschreibt, hat Uwe Rosenberg dem Spiel beigelegt. Und wer sich noch tiefergehend damit beschäftigen möchte, wird auf sein Sachbuch „Weckruf aus Ghana“ verwiesen.
© Harald Schrapers · games we play 2023
games we play · Spielebesprechungen seit 1991.
Keine Spieletests, sondern kritische Rezensionen aktueller Brettspiele, Kartenspiele und Gesellschaftsspiele.