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Volldampf

schön: 5 Punkte Wer nicht fährt zur rechten Zeit, der muss sehen was übrig bleibt

von Martin Wallace

TM (Lizenz: Winsom, Vertrieb: Kosmos)

ca. 35 Euro

- nicht mehr lieferbar -

bis 6 SpielerInnen

Schwierigkeit mittel (ab ca. 12 Jahre)

Verpackung -

2001

Eisenbahnen sind ein beliebtes Spielthema. Doch Eisenbahnspiele stehen in dem Ruf, „schwer“ zu sein und lange zu dauern. Volldampf, eine deutsche Ausgabe von Lancashire Railways, ist anders. Es bietet ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Taktik und Glück, ist nach maximal 90 Minuten erledigt und ist mit unterschiedlichsten Spielerzahlen ein gelungenes Erlebnis. Volldampf ist das vierte und bislang beste der im Buch-Design erschienenen Titel bei TM, dem Fünf-Mann-Kleinstverlag um Klaus Teuber.

„Warum ist Duisburg nicht auf dem Spielbrett eingezeichnet?“ fragt der Duisburger Spielerezensent den Duisburger TM-Redakteur Wolfgang Lüdtke. Der gerät ins Schwitzen und stammelt irgend etwas von „passte nicht so gut da rein.“ Eigentlich sei Duisburg im Original-Prototyp sogar eingezeichnet gewesen, gibt er kleinlaut zu. Aber das habe Martin Wallace nur deshalb gemacht, weil er geglaubt habe, einem Duisburger damit zu gefallen. Aber auf dem Spielbrett habe es keinen Sinn gemacht. „Aber das Ruhrgebiet ist doch eingezeichnet – mit Dortmund“, weise ich erbost auf die westfälische Revier-Stadt hin. Duisburg habe nun mal in den zwanziger Jahren nicht so die Bedeutung gehabt, versucht Lüdtke sich zu verteidigen. „Unfug“, antworte ich. Es folgt ein längerer Vortrag über die enorme Bedeutung der Hafenstadt Duisburg für die eisenbahntechnische Erschließung seit Beginn der Industrialisierung … was aber für diese Rezension nicht weiter von Bedeutung ist.

Vielleicht wird aber eines deutlich: Spiele auf einer deutschen Landkarte sind deshalb so beliebt, weil man mit denen darauf eingezeichneten Orten eine konkrete Vorstellung verbindet. Dagegen haben Spielbretter, die beispielsweise unbekannte chinesische Provinzen zeigen, eher einen abstrakten Charakter.

Das Thema von Volldampf ist wahrlich nicht originell. Jeder SpielerIn repräsentiert eine Eisenbahngesellschaft, die

  1. am Kapitalmarkt Geld aufnimmt,
  2. damit Eisenbahnstrecken baut und
  3. Züge darauf fahren lässt.

Das Eisenbahnthema ist deshalb so unausweichlich, weil nur hierbei der Bau einer Strecke mit der Bewegung auf einer Strecke verknüpft werden kann. Denn weder Lkw-Speditionen noch Schiffs-Redereien bauen sich ihre Autobahnen oder Kanäle selbst.

Eisenbahnspiele finden immer im Dampflok-Zeitalter, in den Jahren der vielen miteinander konkurrierenden Bahngesellschaften statt. Durch die Verstaatlichung der Bahngesellschaften entstand ein Monopol, was für das Brettspiel keinerlei Spannung mehr versprechen würde. Das Zeitalter des Bahnmonopols ist inzwischen zwar ausgelaufen, trotzdem verspricht das noch kein aktuelles Spiel mit ICE, Metropolitan und Regio-Sprinter. Denn dazu müssten die Gesellschaften konkurrierende Netze aufbauen und unterhalten können. Doch Verkehrsminister Kurt Bodewig plante das Gegenteil: die Trennung von Netz und Betrieb, das heißt die Verstaatlichung der Schienenwege.

Kann ich Bodewig, nach der Praxis einiger Partien Volldampf, eine andere Empfehlung geben? Nämlich die Zerschlagung der Deutschen Bahn AG in mehrere konkurrierende Gesellschaften mit jeweils eigenem Streckennetz? Nun ja: Es wird dabei Gewinner und Verlierer geben. Doch insgesamt funktioniert das System hervorragend. Mit etwas Glück, gepaart mit unternehmerischem Risiko, kann auch die anfangs schwächste Gesellschaft später noch entscheidend punkten. Und – was für Volldampf am wichtigsten ist – auch dem Verlierer hat es Spaß gemacht. Zugegeben: Letzteres Argument wird Kurt Bodewig vermutlich nicht überzeugen.

Volldampf soll in den zwanziger Jahren stattfinden, auch wenn man einwenden mag, dass da die Eisenbahnpionierzeit schon nahezu beendet war. Das Spielbrett bildet das heutige Deutschland ab. Wolfgang Lüdtke wollte verhindern, dass irgendwelche „Revanchismusgedanken“ aufkommen. Konsequenterweise hat er die Bahnstrecke nach Königsberg ins Ausland verlegt, wobei ja immerhin stimmt, dass dabei auch in den zwanziger Jahren einige Kilometer polnisches Gebiet zu durchfahren waren.

Eine Überraschung gibt es direkt zu Beginn des Spiels. Es warten keine Passagiere, sondern Warensteine müssen per Zufall auf die Städte gelegt werden. Auch wenn auf dem Schachtelcover ein Personenzug (mit einer seltsam amerikanisch anmutenden Lok) aufgezeichnet ist – bei Volldampf geht es um den Güterzugverkehr.

Anschließend werden die Streckenkarten aufgedeckt, die zur Versteigerung anstehen. Diese Karten zeigen jedoch nicht eine konkret Verbindung zwischen zwei Strecken an, wie dies bei Lancashire Railways der Fall ist. Sondern sie erlauben den Bau in jeweils einer der sechs Regionen auf dem Spielplan. Leider sind dieser Regionen, die einzelne deutsche Länder sein könnten, auf dem Spielbrett wenig liebevoll eingezeichnet: Abstrakte geometrische Figuren kennzeichnen die zu einer Region gehörenden Strecken.

Bevor die Versteigerung beginnt, haben die SpielerIn die schwierige Entscheidung zu treffen, wie viele Anleihen sie ausgeben möchten, um damit ihren Bargeldbestand zu erhöhen. Happige 16,7 Prozent beträgt der Zinssatz. Er ist am Ende eines jeden Jahres zu zahlen. Wenn kein Geld da ist, dann werden Siegpunkte abgezogen.

Seltsamerweise ist auf den Anleihechips nur der Zinsbetrag aufgedruckt, nicht aber der tatsächliche Wert der Anleihe. Während auf der Schachtelrückseite korrekt davon gesprochen wird, dass für die Anleihen Zinsen zu zahlen sind, spricht die Spielanleitung fälschlich von Dividenden. Beides führt dazu, dass diese Regelpassage schwieriger verständlich ist, als notwenig.

Die SpielerIn, der bei der Versteigerung der Streckenkarten als erster passt, zahlt nichts. Die SpielerInnen, die als nächstes passen, zahlen nur die Hälfte ihres geboten Betrags. Einzig die beiden mit dem Höchstgebot müssen die vollen Preis bezahlen. Sie dürfen sich dann als Erste ihre Streckenkarten aussuchen. Die letzten gehen zwar nicht leer aus, aber müssen nehmen, was übrig bleibt.

Die SpielerInnen bauen in der Reihenfolge ihres Gebots die Bahnstrecken. Sie suchen sich eine noch freie Verbindung in einer Region aus, deren Streckenkarte sie besitzen und zahlen die auf dem Brett aufgedruckten Baukosten.

Danach darf jede SpielerIn zwei Warensteine transportieren: blaue Steine in blaue Städte, rote in rote und so weiter. Eine SpielerIn bekommt dabei für jeden Streckenabschnitt, den sie selbst gebaut hat und über den der Stein fährt, einen Siegpunkt. Sie darf auch Strecken benutzen, die eine MitspielerIn gebaut hat. Für solch einen Streckenabschnitt kassiert die entsprechende MitspielerIn den Siegpunkt. „TrittbrettfahrerIn“ mag man da schimpfen, aber es hilft nichts. Wer seine Strecken an derart wichtigen Verbindungen gebaut hat, dass die GegnerInnen gezwungen sind, sie mit zu nutzen, steht in der Wertung oft am besten da.

Ob die gebauten Streckenverbindungen auch im nächsten Jahr noch günstig liegen, entscheidet zu einem großen Teil das Glück. Denn die bereits transportierten Warensteine werden aus dem Spiel genommen und neue Warensteine auf einige ausgeloste Städte gesetzt.

Volldampf ist ein Spiel mit einer erfreulichen Komplexität, obwohl TM über eine Art „Eisenbahn-familienspiel“ nachgedacht hatte. Jedenfalls sollte, so Lüdtke, Volldampf nicht so „fürchterlich strategisch“ sein. Das ist gelungen. Zwar kann man das eine oder andere planen. Der Glückfaktor spielt aber auch eine Rolle. Hinzu kommt ein Stapel mit Ereigniskarten, die den Spielern zusätzliche Aktionen erlauben, beispielsweise die „neue Planung“: dann darf ein Warenstein in eine andere Stadt versetzt werden. Eine Ereigniskarte darf ziehen, wer zu Jahresbeginn an letzter Stelle liegt oder wer auf den Transport eines Warensteins verzichtet.

Volldampf ist nach Der weisse Lotus das zweite TM-Spiel von Martin Wallace. Als Wolfgang Lüdtke sich für dessen Lancashire Railways und eine Umsetzung auf einer deutschen Landkarte interessierte, erfuhr er, dass die Lizenz dieses Spiels bei Winsome Games liege. Die hatten unter dem Namen New England Railways auch bereits eine amerikanische Ausgabe des Spiels herausgebracht.

TM erwarb die Winsome-Lizenz für eine deutsche Ausgabe des so genannten Early Railway-Systems. Trotzdem ist Volldampf keine pure Übersetzung. TM und Wallace hatten gemeinsam einige Regeländerungen erarbeitet und dabei insbesondere die Ereigniskarten entworfen, für die nun die Rechte bei TM liegen.

Die Ausstattung von Volldampf ist leider außerordentlich billig gehalten. Sie kann mit dem heute üblichen Standard nicht mithalten. Mit Ausnahme der Warensteine müssen einfache Papp-Marker als Spielfigur herhalten. „Wir hatten die Auflage runtergesetzt“, begründet Wolfgang Lüdtke die Einfach-Ausstattung. Denn Der weisse Lotus habe sich schlecht verkauft. Bei einer niedrigeren Auflage sind die Herstellungskosten pro Spiel deutlich höher. Somit habe man, so Lüdtke, vor der Entscheidung gestanden, entweder eine kostengünstigere Ausstattung zu wählen oder gar kein Spiel herauszubringen.

Ein neues TM-Spiel sein nun nicht mehr in Planung. „Wir haben nichts, was wir unbedingt herausgeben wollen“, sagt Wolfgang Lüdtke. Obwohl es natürlich Spiele von TM geben wird. Die erscheinen weiterhin unter dem Label Kosmos.

© Harald Schrapers 2001-03

Stand: 14.5.03