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Jamaica

nett: 4 Punktevon Sébastien Pauchon, Malcolm Braff und Bruno Cathala

GameWorks (Vertrieb: Pro Ludo)

ca. 40 € 

– nicht mehr lieferbar – » Neuausgabe

2 bis 6 SpielerInnen

Schwierigkeiteinfach (ab ca. 10 Jahre)

Empfehlungsliste Spiel des Jahres 2008

Beeindruckend ist die Spielregelgröße. Sie ist im DIN-A1-Format gedruckt und enthält eine Art Seekarte, auf der man sich mit dem Verlauf des Spiels plastisch auseinandersetzen kann. Doch das Ganze  hat einen erheblichen Nachteil. Wenn ich während des Spiels ein Regeldetail nachgucken will muss ich erst das nahezu zeltgroße Regelplakat ausbreiten. Doch wo soll dafür Platz sein? Letztlich nervt dieses Spielanleitung erheblich.

Interessanter ist hingegen das vom Mitautor Sébastien Pouchon (Yspahan) auf jamaica.gameworks.ch präsentierte Regelvideo, das keine Frage offen lässt. Wer mag, kann sich seinen Vortrag gleich in fünf Sprachen (inklusive Schwyzerdütsch) anschauen. Beeindruckend.

Bei so viel Aufwand, was die Regelvermittlung angeht, bleibt der Spielablauf vergleichsweise konventionell. Wir schicken unsere Piratenschiffe auf einen Rundkurs. Wer als erster ankommt bekommt 15 Siegpunkte. Außerdem gehen noch ein paar verdeckte Siegpunktkarten und die Goldmünzen als Modifikatoren in die Wertung ein.

Pro Runde entscheiden sich die Spieler für je eine Morgen- und eine Abendaktion. Es gibt Karten, mit denen man sein Schiff vorwärts oder rückwärts bewegt. Andere Karten dienen dazu, Ressourcen in die fünf Laderäume des Schiffes zu füllen. Es gibt Gold, Proviant und Schießpulver.

Eigentlich ist das Spiel sehr flott, weil sich alle Spieler gleichzeitig für ihre zwei Aktionskarten entscheiden. Aber zunächst müssen sie auf denjenigen warten, der die zwei Würfel wirft und sie dann seiner Morgen- oder Abendaktion zuordnet. Das gilt dann auch für alle Mitspieler. Die Würfelzahlen legen den Wert der Aktionen fest: die Zahl der vor- oder zurückzugehenden Felder oder die Zahl der zu ladenden Ressourcen.

Gold und Proviant werden gebraucht, um den Preis für die Bewegung eines Schiffes zu bezahlen. Auf dem Zielfeld ist jeweils aufgedruckt, wie viele Gold- oder Nahrungsplättchen zu löhnen sind. Man sollte darauf achten, beides ausreichend vorrätig zu haben. Denn wenn man nicht zahlen kann, muss man nicht nur sein restliches Gold beziehungsweise Proviant komplett abgeben, sondern auch noch zurückziehen – bis zu einem Feld, auf dem man zahlen kann.

Glücklicherweise sind die Piratennestfelder kostenlos. Hier gibt es für denjenigen, der es zuerst erreicht, zusätzlich noch eine Spielkarte. Diese Karten erlauben eine bestimmte Aktion oder enthalten ein Siegpunktbonus oder – seltener – einen Siegpunktmalus.

Ohne einen Kampf kann es kein Piratenspiel sein. Immer wenn zwei Piratenschiffe auf dem gleichen Feld landen, gibt es Ärger. Hier entscheidet ein Würfel über Sieg oder Niederlage. Wer möchte kann durch vorab ausgespielte Schießpulverchips den Würfelwurf zu seinen Gunsten modifizieren.

Erstaunlich ist es, dass Jamaica als Werbespiel für die schweizerische Versicherungsgesellschaft Assura entwickelt wurde. Verkaufen die Policen gegen Piratenüberfälle auf dem Bodensee? Als Giveaway für einen simplen Krankenversicherungsverkäufer ist es erstaunlich anspruchsvoll und hat mit Pro Ludo jetzt auch einen deutschen Vertrieb gefunden.

Jamaica ähnelt einem Kinobesuch, bei dem man sich nach einem Monate eigentlich nur noch an die opulente Ausstattung erinnern kann. Zwar kann es sich nicht so recht unterscheiden, ob es ein animierter Film – an den das comicartige Endlospanoramabild auf den Spielkarten-Rückseiten erinnert – oder ein „richtiger“ Film mit tollen Piratenszenen sein möchte. Doch wie war noch mal die Handlung? Es ging um Piraten, das ist klar. Bei einem Seeräuber-Opus wie Piratenbucht, erschienen 2002, kann man sich auch nach langer Zeit noch an manch versenktes Schiff erinnern. Aber bei Jamaica? Da gibt es gar keine versenkten Schiffe. Sondern es ist ein eher weichgespültes Drama, das auch thematisch mit der Altersfreigabe „ab 8“ korrekt gekennzeichnet ist.

Damit sich überhaupt ein paar Schiffe in die Quere kommen, müssen schon vier oder besser fünf Leute mitspielen, was gleichzeitig aber eine gewisses Unübersichtlichkeit auf dem Spielbrett bedeutet. Planbarkeit ist da eher nicht gegeben, auch wenn es durchaus unterschiedliche taktische Spielanlagen gibt. Die einen versuchen mit hoher Geschwindigkeit bei großem Ressourcenverbrauch zum Ziel zu kommen. Und die anderen sammeln lieber unterwegs ein paar Goldstücke und Sonderkarten ein, die bekanntlich auch zum Sieg führen können.

Bemerkenswert ist die Zwei-Personen-Variante dieses Spiels. Da gibt es nämlich eine Sonderregel, die gar nicht wie eine halbgare Krücke wirkt. Ein schwarzes Geisterschiff kann von den Spielern abwechselnd gezielt gesteuert werden und bietet somit ein interessantes Zusatzelement. Wenn Jamaica als Zwei-Personen-Spiel auf meinen Tisch gekommen wäre, hätte es vielleicht von vornherein mehr Begeisterung ausgelöst. So ist es ein durchaus gelungenes Spiel, bei dem Glück, etwas Taktik und Interaktion für ein grundsolides Erlebnis sorgen.

© Harald Schrapers 2008–13