games we play

Torres

von Wolfgang Kramer und Michael Kiesling

Rio Grande (Vertrieb: Abacus)

ca. 43 €

– nicht mehr lieferbar– » Neuausgabe

schön: 5 Punktebis 4 SpielerInnen

Schwierigkeitmittel (ab ca. 12 Jahre)

Neuauflage 2005

Spiel des Jahres 2000

2. Platz Deutscher Spiele Preis 2000

Im Juli 2000 wurde Torres als Spiel des Jahres 2000 ausgezeichnet. Die Geschichte dieses Spiels reicht zu diesem Zeitpunkt jedoch schon mehr als ein Jahr zurück.

1999, mitten im eigentlich brettspielunfreundlichem Hochsommer, kam ein Spiel auf dem Markt, dass Torres heißt, als „Strategiespiel“ bezeichnet wird und von Burgen und Rittern handelt. Letzteres ist nicht sonderlich ungewöhnlich. Bemerkenswert ist jedoch, dass Torres ein Spiel des Duos Wolfgang Kramer und Michael Kiesling ist, das sich zu diesem Zeitpunkt gerade anschickte, in Berlin den goldumkränzten Pöppel für das Spiel des Jahres entgegenzunehmen. Tikal hieß der gefeierte Sieger dieser hochsommerlichen Preisverleihung.

Eigentlich war Torres bereits als 99er Frühjahrsneuheit fertiggestellt, da hielten Wolfgang Kramer und Michael Kiesling das ganze Unternehmen noch mal auf. Sie hätten nicht gewollt, dass Torres den Anspruch Tikals auf den Spiel des Jahres-Titel durch Konkurrenz aus dem eigenen Hause gefährde. Und außerdem rechne man sich, fügte die FX-Pressesprecherin selbstbewusst hinzu, Chancen aus, dass Torres im Jahr 2000 von der Spiel des Jahres-Jury prämiert würde. Sie sollte Recht behalten.

Wer die recht kompakte Spieleschachtel öffnet, entdeckt fast 100 gleichförmige, stapelbare Kunststoff-Bauteile für die Burgen, abstrakte Ritterfiguren, einen Königs-Pöppel, vier Wertungssteine, Spielkarten und ein Spielplan. Auf dem Spielplan ist ein schlichtes Schachbrett eingezeichnet. Drumherum findet sich zur Dekoration eine Collagen-Zeichnung im Stile Rosina Wachtmeisters. Und den Spielplanrand ziert ein Zählleiste, die seit Heimlich & Co. auch Kramer-Leiste genannt wird. Bei Torres endet die Zählung der Siegpunkte erst bei 265, somit handelt es sich um die wahrscheinlich längste Kramer-Leiste der Welt. Entsprechend klein und manchmal unpraktisch sind deshalb auch die Felder dieser in eckigen Kurven verlaufenden Leiste geraten, zumal es - was die Ziffer am Ende bereits andeutet - eine ganze Menge zu addieren und zu multiplizieren gibt.

Multipliziert wird die Höhe der Burg mit der Grundfläche der Burg. Wobei aber nur die Höhe zählt, auf der eine SpielerIn einen Ritter der eigenen Farbe gestellt hat. Bei Torres geht es darum, mit den Bauteilen große Burgen zu bauen und die eigenen Ritter möglichst hoch zu platzieren. Und trotz der Ritter geht es friedlich zu. Auf einer Burg dürfen sich Ritter verschiedener Farbe versammeln, die alle in der Punktwertung berücksichtigt werden.

Zu Beginn befinden sich acht einzelne Bauteile auf dem Spielfeld, die jeweils eine Burg darstellen. Alle SpielerInnen haben Türme aus Bausteinen vor sich, und sie können in jeder Runde einen Turm verbauen. Wenn dies geschehen ist, ist wie bei Manhattan, dem 94er Spiel des Jahres, eine Phase vorbei, und es wird gewertet.

Doch die SpielerInnen setzten nicht nur Bauteile ein, sie können wie bei Tikal Aktionspunkte frei auf verschiedene Maßnahmen verteilen. Während das Einsetzen eines Bausteins einen Aktionspunkt kostet, benötigt das Einsetzen einer Ritterfigur zwei Punkte. Und für jeweils einen Punkt zieht solch ein Ritter ein Feld, wobei er dabei gleichzeitig eine Stufe nach oben gehen darf. Preiswerter und weiter kommt man voran, wenn man seinen Ritter einen Weg durch das Innere einer Burg nehmen lässt. Dann kostet der Zug zwischen dem Eingangstürchen einen Burgenbauteils und einem anderen Türchen nur einen Aktionspunkt, egal wie groß die Burg ist.

Soweit ist Torres ein reines Strategiespiel, bei dem es viel zu Grübeln und zu Rechnen gibt. Dann sind da aber noch die Aktionskarten. Und die bringen zumindest in der Grundversion eine Glücksfaktor ins Spiel. Eine Aktionskarte, die einen Punkt kostet, erlaubt einer SpielerIn besondere Züge, die die eigentlichen Regeln außer Kraft setzten, das Einsetzen zusätzlicher Bausteine oder weitere Aktionspunkte. Wer das Glück hat, vom versteckten Stapel eine für ihn besonders wichtige Karte zu ziehen, kann das Spiel gegebenenfalls entscheidend beeinflussen.

Doch da es sich bei Torres eigentlich um ein hundertprozentiges Taktikspiel zu handeln scheint, werden viele SpielerInnen schnell zur Meisterversion, der Profiregel, vordringen. Hier spielt das Glück keine Rolle und verhagelt einem nicht die klügsten Züge. In der Meisterversion hat jede SpielerIn einen Satz mit jeweils den identischen Aktionskarten, von denen pro Runde eine gezielt ausgewählt und eingesetzt werden kann.

Doch was ist von einem Spiel ganz ohne Glückfaktor zu halten? Das ist sicherlich Ansichtssache. Die Einen sind begeistert, den Anderen fehlt etwas Spielerisches. Und Torres, das zunächst ganz vorzüglich auch als Zwei-Personen-Spiel funktioniert, ist tatsächlich ein außergewöhnlich interessantes Spiel, das man am liebsten direkt noch einmal spielen möchte. Denn dann, so die Hoffnung, hat man endlich den Kniff raus, die endgültig perfekten Züge zu machen. Deshalb muss in diesem Spiel auch mit längeren Denkpausen gerechnet werden. Interaktion gibt es keine. Man kann sich höchstens ärgern, wenn eine MitspielerIn einem zuvorgekommen ist und einen tollen Zug verhindet. Doch, wer das Spiel erstmal beherrscht, wird insbesondere beim Zwei-Personen-Spiel recht viele Pattsituationen bei einigen Burgen erleben, auf denen sich die führende SpielerIn vortrefflich ausruhen kann.

Torres bietet auch noch eine Regelvariante quasi als Kompromiss an. Dabei besitzt jede SpielerIn zwar seinen eigenen Satz an Aktionskarten, hat diese aber verdeckt vor sich liegen. Wer seinen Aktionspunkt bezahlt, kann dann die obere Karte ziehen, womit diese Variante einen gemäßigten Glücksfaktor besitzt.

Die thematische Umsetzung eines abstrakten Taktikspiels ist recht schwierig. Auch bei Torres ist nicht leicht zu erkennen, was das Spiel mit Kastilien zu tun hat, wo das Ganze angeblich stattfinden soll. Wichtig sind nur die Burgenbausteine mit ihren Törchen auf allen Seiten. Diese machen auch komplizierte Züge mittels Aktionskarte quer durch eine Burg viel anschaulicher, als dies abstrakte Steine gekonnt hätten. Welche thematische Idee dahinterstecken mag, dass man Sonderpunkte dann bekommt, wenn Ritter auf der selben Etage einer Burg stehen, wie die Königsfigur, ist nicht so richtig eingängig. Verständlich ist jedoch eine andere Spielidee. Wer nach einer Wertungsphase Letzter ist, darf den König versetzten, um sich selbst eine bessere Ausgangsposition zu sichern.

Attraktiv und recht originell ist das dreidimensionale Bauen der Torres-Burgen, auch wenn die Spiele Burgenland und Terra Turrium bereits eine ähnliche Spielidee hatten. Der taktisch-strategische Ansatz des Spiels, die Notwendigkeit ständig das Optimum zu berechnen - verbunden mit Wartezeiten auf die anderen SpielerInnen - machen Torres zu einem erstklassigen Denkspiel für das Jahr 2000. Es wird vielen gefallen, aber nicht allen. Denn Leichtigkeit und Lebendigkeit wird man Torres nicht unterstellen können.

Der Spiel des Jahres-Titel für Torres bedeutete gleichzeitig den Abschied von der Marke FX, den letzten Hinweis auf das von Ravensburger übernommene Traditionsunternehmen F.X. Schmid. Allerdings war Torres im FX-Programm, das auf lustig-lockere Spiele á la Bluff und das Nilpferd auf der Achterbahn ausgerichtet war, eher unpassend untergebracht. Eine Gnadenfrist erhielt das FX-Logo noch bis Ende 2000, zum Beginn des Jahres 2001 waren schon die ersten Torres-Schachteln mit dem blauen Ravensburger-Dreieck in den Geschäften zu sehen.

Insgesamt wurden vermutlich kaum mehr als 200.000 Exemplare dieses Spieles verkauft. Es ist damit das am schlechtesten verkaufte Spiel des Jahres seit den neunziger Jahren. Ravensburger nahm Torres auch schon nach recht kurzer Zeit aus dem Programm und hat es dem US-Verlag Rio Grande überlassen, seine Ausgabe auch in Deutschland zu vertreiben.

© games we play 1999–2013 - Autor: Harald Schrapers